Kleine Chronik von Kley
(Aufzeichnung von Heinz Pickhan aus dem Jahre 1980, veröffentlicht von der Sparkasse Dortmund)
Dreifach verwurzelt ist ein Mensch in der Welt, in die er hineingeboren wird: Schwer fassbar ist die Formkraft, die vom heimatlichen Boden ausgeht, das Elternhaus legt die Grundlagen des sittlichen Daseins, und die im Zeitalter lebendigen geschichtlichen Mächte weisen der geistigen Eigenart eines jeden die Wege.
Gerade in unserer Zeit sollte diese dreifache Verwurzelung rein und schicksalhaft zutagetreten. Denn heute ist der Mensch meist Großstadtkind, oder er gerät früh in den Bannkreis der modernen Großstadt, deren Leben auf die Zukunft ausgerichtet ist und den Blick nach rückwärts scheut, deren geistige Atmosphäre Treibhausluft ist, in der alles darauf an kommt, möglichst schnell Blüten und Früchte hervorzubringen. Es ist eine nüchterne wie nachdrückliche Feststellung.
Zum ersten Male wird der Name Kley als „Cleige“ 963 im Heberegister der Abtei Werden erwähnt und dabei bemerkt, dass es zwischen Dorstfeld und Witten liegt „neben dem Gehölz eine Stunde von Kirchdorf“.
Heimatforscher leiten den Namen Kley von dem tonigen, klebrigen Boden (dem Kleiboden) ab. Von 1392 bis 1609 gehörte Kley zur Grafschaft Mark, Oberamt Bochum, dann zu Preußen. Westfalen ist das Land der freien Gerichte. Der Ursprung dieser freien Gerichte, auch Freistühling genannt, wird auf Karl d. Großen zurückgeführt, der von dem Freigrafen (dem Vorsitzenden der Freigerichte) allgemein als der Stifter der Freigerichte angesehen wurde.
Eingerichtet für die vom König unabhängigen freien Leute der Bezirke, in denen die Freigerichte bestanden, dehnten die westfälischen Freigerichte, die auch heimliche Gerichte genannt wurden, in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ihre richterliche Zuständigkeit auf ganz Deutschland aus.
Ein schicksalhaftes Beweisstück alter Vergangenheit hat die Familie Friemann (Hunold) in Kley aufzuweisen. In ihrer Stammtafel heißt es: „Ewert Vrymann aus Langendreer 1369, d. 1. März, Zeuge bei einer Auflassung vor dem Freystuhl zu Oespel“ (Vrymann = ein freier Mann - bei den Verhandlungen konnten nur freie Leute als Zeuge auftreten). Das „Schatboik in Mark“ von 1486, eine interessante Urkunde aus der Zeit der Kämpfe der Grafschaft Mark mit der freien Reichsstadt Dortmund, nennt auch die Gemeinde Kley. Eingeschätzt zur Landessteuer wurden hierbei „in Kley 4 große Höfe und 1 kleiner Hof“, die ihre Abgabe in Gulden zu entrichten hatten. Es heißt da:
Hudde van Kley – 6 Gulden
Ryschen guet onder Hermann Kampman – 3 Gulden
Rutger van Kley – 6 Gulden
Evert van Kley – 6 Gulden
Hannes van Kley – 6 Gulden
Die eingesessenen Bauern nannten sich nach der Ortschaft, so auch später noch z. B. Hodde zu Kley, Tönnis zu Kley.
Um die Wende des 18. Jahrhunderts ging vom Gebiet um Kley ein beachtlicher landwirtschaftlicher Fortschritt aus. Darauf waren die Kleyer mit Recht stolz. Der Bauer vom Hoddenhof war der erste im Gebiet um den Hellweg, der das Saatkorn erfolgreich beizte und den Fruchtwechsel einführte. Er versuchte, Bienen zu züchten, Obst in verstärktem Maße anzubauen und für die Winterlagerung zu dörren. Seine Zuchtmethoden mit Kühen waren geschätzt. Mehrfach wurde er von höherer Stelle ausgezeichnet.
Ein idealer Weideplatz seiner Viehherden mag der Dorney gewesen sein. Er bedeckte damals eine noch weit größere Fläche als heute. Das von Feld- und Elsebach durchflossene wasserreiche Wald- und Heidegebiet war Eigentum aller Bauern, jahrhundertalter Allmende, von den Dorfbewohnern gemeinsam zur Weide und zum Holzeinschlag benutzt. Friedrich d. Große ließ diese Öd- und Markenwälder aufteilen, um größere Einkünfte zu erzielen. Aufsicht führte ein Holzrichter, der den Kleyer Markgenossen das Brennholz zuwies. Die Mergelkuhle (Sportplatz) wurde nicht aufgeteilt. Als Gemeinbesitz diente sie der Entnahme des Mergels zur Düngung.
Die Ortschaft Kley wuchs von 1826 bis 1870 von 25 auf 60 Gebäude an. Der damalige Ortskern lag um den Tönnishof herum. Er hatte sich infolge der das Dorf umgebenden ausgedehnten Sumpfgebiete hier konzentriert.
Offensichtlich ist, dass die Anlegung (1856) und Inbetriebnahme der Zeche Borussia das Landschaftsbild stark veränderte, zumal recht bald der Wasserreichtum unter ihrem Einfluss zurückging.
In jenen Jahren der starken Belebung von Handel und Industrie, des wachsenden Unternehmungsgeistes mag ein weiteres umwälzendes Ereignis die Gemüter der Kleyer Vorfahren erhitzt haben: Zum ersten Mal fuhr 1862 ein Dampfross auf seinem Weg von Langendreer nach Dortmund durch die Kleyer Flur. Sein damaliger Weg führte über die jetzige Güterstrecke. Die „Station“ (der Bahnhof), die sich auf der Karolinenstraße befand, galt ja lange noch als gebräuchliche Bezeichnung für den dortigen Ortsteil.
Wie schon in der Feuerstättenordnung von 1654, so findet man auch in der Feuerstättenzählung vom Jahre 1780 die Nennung von Köttern. Das Dasein dieser Acker- und Kohlenbauern ist eng mit dem Kohlenbergbau verknüpft, der zwar erst im 19. und 20. Jahrhundert größere Bedeutung erlangt, dessen Anfänge jedoch schon im 17. und 18. Jahrhundert liegen.
Ohne größere Hilfsmittel schürfte man auch in hiesiger Gegend mit großem Risiko nach Kohlen. So z. B. im Dorney, wo eine nur wenige Meter dicke Mergelschicht das Kohlengebirge bedeckt. Der Stollenbau florierte schon 1681. Unglücksfälle aus dieser Zeit sind auch heute noch im Sterberegister der ev. Kirche in Lütgendortmund zu finden, z.B. am 29. Januar 1681: „Hinrich Wember‘scher Sohn zu Kley todt im Bergbau blieb.“
Hatte Kley 1885 bereits 771 Einwohner, so ergab die Zählung vom 31.3.1962 schon 2931. Nicht zuletzt war dieses Anwachsen auf „unseren Pütt“ zurückzuführen. Schlagartig hatten sich das Bild von Kley und das Gesicht der Bevölkerung verändert. Fördergerüste ragten auf, Schlote stießen ihren schwarzen Qualm gegen den Himmel, zwischen bäuerlichen Gehöften wuchsen bald die ersten Bergmannsiedlungen, es gab Bauern und Bergmänner, zum Großteil Immigranten aus Ostpreußen. Das Leben der Menschen richtete sich nicht mehr allein nach dem Wechsel der Jahreszeiten, nach Säen, Wachsen und Ernten, sondern auch nach den Sirenen der Zechen, wo die Bergleute in drei Schichten die begehrte Kohle zu Tage förderten. Zu Beginn der Förderung arbeitete man im Bergbau nur mit der Hacke. Von Pferden und zum Teil von Menschenhand wurden die gefüllten Kohlenwagen an den Schacht gebracht. Trotz der primitiven Geräte konnte die Förderung infolge der ständig steigenden Belegschaftszahl von 1856/57 bis 1909 verdoppelt werden. Spürbar verbessert wurde sie, als man in den 20er Jahren die Schlepperhäspel einführte. So betrug die jährliche Förderung in den Jahren 1910 = 209751 t, 1927 = 588943 t, 1929 = 617854 t. Die Förderungszahlen von 1905 und 1906 zeigen in der Statistik einen deutlichen Abfall. Ursache dafür war die zeitweilige Stillegung der Zeche nach dem schweren Brandunglück vom 10. Juli 1905. 39 Bergleute kamen ums Leben. Es war das schwerste Grubenunglück, von dem die Zeche heimgesucht worden ist.
Zehn Jahre nach dem 2. Weltkrieg zeichnete sich bereits die neue Ära ab und in dem allgemeinen Umbruch des Industriezeitalters war die Kohle auf einmal nicht mehr so gefragt. Über Nacht wuchsen große Halden heran, für die kein Absatz mehr da war. Im Zuge der Rationalisierung im Bergbauwesen wurde auf „Oespel“, wie die Zeche seit 1911 hieß, am 30. September 1962 „die letzte Schicht“ gefahren. Ein großzügiger Sozialplan der Harpener Bergbau AG sicherte jedem Bergmann einen neuen Arbeitsplatz auf einer anderen Schachtanlage der Gesellschaft zu, auch Überbrückungsbeihilfen, Umzugsgeld und Fahrtkostenerstattung. Dennoch wurden die Kleyer Bergleute vom Sterben ihres Pütts hart betroffen, denn es hängt daran mehr als der Verdienst, als die Kosten eines langen Arbeitsweges oder die eines Umzuges. Es bedeutet die Auflösung ihrer bisher festgefügten Welt, bedeutet das Auseinanderfallen einer großen Gemeinschaft. Stammten vor 1962 noch rund 75 - 80% der Schulkinder aus Bergmannsfamilien, deren Väter auf einer Schachtanlage beschäftigt waren, so ist es 1989 noch kaum 1 %. So vollzog sich erneut ein Wandel in der sozialen Struktur.
Das Wirtschaftsförderungsamt der Stadt Dortmund hatte die Umstrukturierung der vorhandenen Potentiale Kohle und Eisen, die über ein Jahrhundert bestimmend für das wirtschaftliche Wachstum waren, schon frühzeitg gesehen und bemüht sich seitdem, andersartige Unternehmen im Dortmunder Raum sesshaft zu machen. So entstanden auch auf dem ehemaligen Zechengelände viele Kleinbetriebe. Hatte Kley 1962 noch 2931 Einwohner, so kommen 1964 noch 728 Wohnungseinheiten „dazu“. Auf dem ehemaligen Gelände des Cramer´schen Hofes war ein neuer Ortsteil, die Echeloh-Siedlung entstanden (heute zählt Kley etwa 3300 Einwohner).
Dieser Beitrag sollte sich nicht nur mit der Vergangenheit vom Standpunkt des Historikers aus beschäftigen, sondern auch von den Schicksalen der Menschen berichten, die einstmals hier gelebt haben, wobei jedoch die Einschränkung gemacht werden muss, dass eine lückenlose Darstellung der Geschichte unserer Heimat nicht möglich ist, weil die Aufzeichnungen aus früheren Zeiten zu spärlich sind, bzw. in den zahlreichen Kriegswirren verloren gingen. Trotzdem - über 1000 Jahre Geschichte eines Gemeinwesens wiegen schwer. Im vollen Bewusstsein der Verbundenheit mit einer selten langen Vergangenheit trägt sich aber auch die Verantwortung gegenüber Gegenwart und Zukunft leichter.
Heinz Pickhan
Die Illustrationen:
- Herz-Jesu-Kirche mit Borussiaschule und Zeche (1920er Jahre)
- Wohnhaus des Gutshof Tönnis
- Hof Schulte-Mäter
- Haus Kley des Hofes Hinderfeld
- Kokerei und Kohlenverlade der Zeche Oespel
- historischer Dorfkrug (ehem. Gerdeshof)
- Hauptschule an der Kleybredde
- Blick auf´s Echeloh
- 60er-Jahre-Versatzbau an der Kleybredde